In diesem Artikel möchte ich mit dir einen kritischen Blick hinter Auflistungen und Charts von Starthänden im Texas Holdem Poker werfen. Das Ziel des Artikels ist es dabei nicht, von der grundsätzlichen Verwendung von Charts abzuraten. Vielmehr soll es darum gehen, dir zu zeigen, wie du die Charts verwenden kannst, dein Spielverständnis zu schärfen und auch jenseits der Tische zu analysieren und Strategien zu entwickeln welche Situationen abdecken, in denen die Charts dir nicht weiterhelfen. Für diesen Artikel verwende ich zu diesem Zweck das in einem früheren Artikel vorgestellte Starting Hands Chart. Ich zeige dir zum einen mathematische Schwachstellen im Chart und zum anderen mögliche Lösungsansätze, wie du mit diesen Schwachstellen im Spiel umgehen kannst. Natürlich kannst du, und das empfehle ich dir, die vorgestellten Techniken auf jegliche Art von Charts anwenden welche du in dein Spiel einbauen möchtest.
Eine der typischen Fragestellungen ist die nach der Verwundbarkeit der im Chart vorgestellten Ranges. Lass mich hierzu zwei Beispiele aus dem Starting Hands Charts unter die Lupe nehmen, und zwar für typische und häufig auftretende Situationen.
Beginnen möchte ich mit der Analyse der Open Raising Range des CO, und zwar konkret mit einer Analyse, ob der Button profitabel gegen die CO Range spielen könnte, sofern er von dieser Kenntnis hätte. Hierzu betrachte ich die Fragestellung, ob der Button gegen die Open Raising Range des CO profitabel zu 100% 3-betten kann.
Stell dir entsprechend die folgende Situation vor. MP2 und MP3 folden, der CO raised gemäß der Open Raising Range aus dem Starting Hands Charts auf 3bb. Der Button ist am Zug und muss jetzt die Entscheidung treffen, ob er profitabel mit any two 3-betten kann.
Wenn du diese Frage aus Sicht des Button zufriedenstellend beantworten möchtest, empfiehlt es, sich hierfür einen Blick auf die Open Rasing Range des CO zu werfen.
Diese besteht aus vier Hand Gruppen:Jetzt bist du bereit für die weitere Analyse. Um die Verwundbarkeit der CO Range zu bewerten, ermittelst du im ersten Schritt die Pot Size. Diese beträgt nach dem Raise des CO 4.5bb nämlich die 3bb die der CO raised hat, sowie die 1.5bb Zwangseinsätze aus den Blinds.
Basierend auf der durch das Chart bekannten CO Range hast du die Grundlagen für die Beantwortung der Frage, ob der BU profitabel any 2 3-betten kann, also die CO Range diesbezüglich verwundbar ist.
Der CO raised 310 Hände wovon er 232 auf eine 3-Bet foldet, das sind etwa 75%.
Die 3-Bet würde den Button 9bb kosten was bedeutet, dass der Pot nach einer 3-Bet 13.5bb groß wäre.
Um die Analyse so einfach und effizient wie möglich zu gestalten, gehst du davon aus, dass der BU, sollte der CO nicht direkt aufgeben oder der SB oder BB ins Spiel einsteigen, keine weiteren Chips mehr in den Pot investiert. Lässt sich mit dieser Annahme kein eindeutiges Ergebnis erzielen, kannst du immer noch entscheiden, die Annahme zu streichen und durch konkrete Berechnungen der jeweiligen Spielstränge zu ersetzen.
Im letzten Schritt berechnest du den Erwartungswert der 3-bet und kannst damit die Fragestellung nach der Profitabilität einer any2 3-bet beantworten.
Der Erwartungswert bzw. expected value EV ergibt sich aus Sicht des BU in der konkreten Situation aus den 75% fold auf eine 3-bet, in denen der BU die 13.5 bb im Pot gewinnt, abzüglich der der Kosten von 9bb für die 3-bet. In den 25% der Fälle in denen der CO nicht foldet, entstehen keine weiteren Kosten jedoch auch keine zusätzlichen Gewinne.
EV = 75% x 13.5bb - 9bb
= 10.125bb - 9bb
= 1.125bb
In Summe kannst du also von einem Erwartungswert für die any2 3-bet von ca. 1.1bb ausgehen, womit die Frage ob dieser Spielzug gegen die CO Range profitabel und die Range entsprechend verwundbar ist, mit ja beantwortet werden kann.
Was das bedeutet und wie genau du darauf reagieren kannst zeige ich dir nach dem zweiten Beispiel.
In diesem Beispiel möchte ich mit dir die gleiche Fragestellungen begutachten, diesmal jedoch für die Situation, dass alle Spieler bis hin zum SB gefoldet haben, dieser auf 3bb erhöht und jetzt der Spieler im BB vor der Fragestellung steht, ob er mit any 2 3-betten sollte oder nicht.
Genau wie im ersten Beispiel kannst du für den BB die SB Open Raising Range als bekannt voraussetzen, da es um die Fragestellung geht, wie verwundbar diese wäre, wenn der BB diese kennt.
Da es um das Spiel SB gegen BB geht, befinden sich anstelle 4.5bb nur 4bb im Pot.
Der SB spielt 590 Hände, wovon er 444 raise/fold spielt. Das heißt, ähnlich wie im letzten Beispiel werden ca. 75% der Hände auf eine 3-bet direkt aufgegeben. Da der BB schon 1bb als Zwangseinsatz gesetzt hat, kostet ihn die 3-Bet in diesem Beispiel nur 8 bb. Das bedeutet der Pot ist nach der 3-bet auf 12 bb gewachsen. Ähnlich wie im letzten Beispiel gehst du vereinfachend davon aus, dass sollte der SB nicht direkt aufgeben, keine weiteren Chips mehr in den Pot investiert werden. Jetzt kannst du wieder den Erwartungswert der 3-bet berechnen.
Der Erwartungswert ergibt sich in diesem Fall aus den 75%, in denen der SB folded und der BB den gesamten Pot in Höhe von 12bb abzüglich der Kosten von 8bb für die 3-bet gewinnt. Das wären in diesem Fall 0bb.
EV = 75% x 12bb - 8bb
= 9bb - 1bb
= 1bb
Ähnlich wie im ersten Beispiel, kannst du hier die Frage nach der Profitabilität einer any2 3-bet und der damit verbundenen Verwundbarkeit der SB Range mit ja beantworten.
Abschließen möchte ich mit dir die Schlussfolgerungen und Lehren teilen, die du aus den beiden Beispielen ziehen kannst. Dazu gehören Antworten auf die Fragen ob die Charts grundsätzlich überarbeitet werden müssten oder auch weiterhin als solide Grundlage für dein Preflop Spiel angesehen werden können und was du tun kannst, wenn du feststellst, dass einer deiner Gegner anfängt sich auf die von dir gewählte Strategie einzustellen.
Die Frage nach den Lehren aus den beiden Beispielen lässt sich relativ einfach beantworten, verlass dich für dein Spiel nie auf Charts oder fixe Strategien sondern sei insbesondere beim Aufstieg in den Limits bereit, deine Strategien und Erfahrungen zu hinterfragen und entsprechend anzupassen.
Die Frage nach der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Charts möchte ich an dieser Stelle mit ja beantworten und dies mit den zwei Stufen des Umgangs mit Gegnern begründen die sich an deine Strategie anpassen.
Stufe 1: keine Panik bzw. wie hier dargestellt nichts tun und beobachten.Damit komme ich zu Stufe 2 im Umgang mit denjenigen Gegnern die sich an deine Strategie anpassen.
Stufe 2: Analysieren und AdaptierenZu guter Letzt ist es ab einem gewissen Niveau per se unabdingbar, dass du dich mehr und mehr von einem rein Charts basierten Spiel löst und dir ein gutes Verständnis von Ranges und spielbaren Rangeverteilungen aneignest. Ein guter Ausgangspunkt hierfür ist die Diskussion mit Gleichgesinnten in den einschlägigen Poker Foren.
Abschließend möchte ich dir noch mitgeben, dass wie auch immer du deine Strategie anpasst, du davon ausgehen musst, dass deine Gegner in der Lage sind auch mit den geänderten Rahmenbedingungen umzugehen. Das bedeutet, du musst bereit sein, dich wieder auf Stufe eins zu begeben – nämlich nicht in Panik zu verfallen und vor allem zu beobachten.
Du hast in diesem Artikel gelernt, wie du die Charts verwenden kannst dein Spielverständnis zu schärfen, auch jenseits der Tische zu analysieren und Strategien zu entwickeln, welche Situationen abdecken, in denen die Charts dir nicht weiterhelfen. Ich habe dir anhand zweier Beispiel mathematische Schwachstellen in den hier empfohlenen Auswahlen von Starthänden gezeigt. Gleichzeitig habe ich dir auch dargelegt, warum diese Schwachstellen insbesondere auf den unteren Limits kein grundsätzliches Problem darstellen sondern dich eher dazu motivieren sollten, dein persönliches Verständnis von Ranges und Rangeverteilungen noch weiter zu schärfen. Natürlich kannst du, und das empfehle ich dir ausdrücklich, mit den gezeigten Techniken das Starting Hand Chart noch weiter untersuchen und auf dein Spiel und deine Gegner anpassen.